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20.04.2024
17.09.09

Unsterbliche Seele - eine Herausforderung für unseren Glauben

Kategorie:
Nachrichten

von reinhold nöth

Ikone: Entschlafung der Gottesmutter

Was verstehen wir unter »Seele«? Das Wort Seele hat ganz unterschiedliche Bedeutungen, wie unser alltäglicher Sprachgebrauch zeigt. Der Begriff »Seele« kommt aus dem altgermanischen »saiwolo«, was »vom ewigen See herkommend« bedeutet. Wir sprechen von »Seelsorger«, oder »Seelenverwandtschaft«, von »Seelenheil« oder Seelenqualen« bzw.  »seelischen Krankheiten«, wir sagen, das ist »eine Seele von Mensch« oder wir sind »ein Herz und eine Seele«, wir möchten lieber »die Seele baumeln lassen« als »unsere Seele aushauchen«. Alle diese Begriffe bzw. Redewendungen lassen sich mit Ausdrücken wie Herz, Gemüt, Gefühl oder auch Geist, Leben Wesen umschreiben, teilweise auch mit dem griech. »psyche« bzw. dem lateinischen »anima«, die wörtlich übersetzt »Hauch« und »Atem« bedeuten. In diesem Beitrag soll es ganz speziell um die »unsterbliche Seele« gehen, ein Problem, um das sich die Menschen seit Jahrtausenden Gedanken machen und die Wissenschaften wie Theologie, Philosophie oder auch Hirnforschung bis heute streiten.

 

1 Die Unsterblichkeit der Seele nach der griechischen Philosophie

Eine klare und eindeutige Position, die für viele Menschen bis heute Gültigkeit hat, hat der große griechische Philosoph Platon (+ 347 v.Ch.) vertreten. Platon, ein Schüler des Sokrates, hat die sog. Ideenlehre entwickelt, eine Weltanschauung, die uns heutigen naturwissenschaftlich denkenden Menschen recht weltfremd erscheinen mag. Er sagt: Nicht die sinnlich wahrnehmbaren Dinge haben wahres Sein, sondern die dahinter stehende Idee. Die materiellen Dinge sind vergänglich, veränderbar, unvollkommen, nur die Idee ist unvergänglich, vollkommen und transzendent. Wenn wir jemand oder etwas schön, wahr oder gut nennen, dann nur deshalb, weil sie ein schwaches Abbild des ewig Schönen, Wahren und Guten sind. Ähnliches gilt auch für die alltäglichen Dinge des Lebens. Wenn ich einen Baum oder einen Tisch sehe, erkenne ich ihn daran, dass ich in meinem Geist eine Idee bzw. Idealgestalt von einem Baum bzw. Tisch habe und den konkreten Gegenstand damit vergleiche und messe. Auf den Menschen bezogen  heißt dies: Der Körper des Menschen ist vergänglich,  sterblich, unvollkommen, seine Seele ist unsterblich und ewig. Im Tod trennt sich die Seele vom Körper, der sie wie in einem Kerker gefangen hält, sie schwebt nach oben in das Reich der ewigen Ideen, bis sie vielleicht später wieder in einem vergänglichen Leib eingesperrt wird. Nur weil der Mensch eine mit Geist begabte Seele hat, hat er teil an der göttlichen Vernunft und kann das Wesen der Dinge erkennen und sich für das Gute entscheiden.

Diese idealistische Weltanschauung mit einer dualistischen Trennung zwischen vergänglicher Materie und geistiger Idee hat sich später nachhaltig auf  die Philosophie und die christliche Theologie ausgewirkt. Vor allem die Lehre von der unsterblichen Seele überzeugt noch heute viele Menschen bis hin zum Glauben an die Seelenwanderung und Reinkarnation.

Der bedeutende griechische Philosoph Aristoteles (+ 322 v.Ch.), ein Schüler von Platon, hat zwar den strengen Dualismus seines Lehrers kritisiert und den Menschen nicht mehr in einen sterblichen Körper und eine unsterbliche Seele zweigeteilt. Er sieht den Menschen als Einheit von Leib und Seele. Die Seele ist für ihn die Form des Leibes, so wie der Geist das Wesens-, Wirk- und Gestaltungsprinzip der Materie ist. Doch auch für ihn ist die Seele unsterblich und transzendent, nur sie prägt die Personalität und Geistigkeit des Menschen.

Die Philosophie des Aristoteles lebt und wirkt bis heute als »Metaphysik« weiter, d.h. was »nach der Physik« kommt bzw. über die Natur hinausgeht, ist wichtiger als die materiellen Dinge. Dieses griechische Weltbild hat das europäische Denken bis in die Neuzeit   entscheidend geprägt und auch das christliche Denken mit geformt bis hinein in eine daraus folgende Leibfeindlichkeit.

 

2 Das christliche Verständnis vom Leben nach dem Tod

2.1 Die fundamentalen Aussagen der Bibel

Das Fundament, auf dem der christliche Glaube fest gegründet ist, ist die Bibel. Auch die Bibel spricht von »Seele«. Gemäß dem Schöpfungsbericht formt Gott den Menschen aus Staub und haucht ihm den Lebensatem ein, »so wurde er eine lebendige Seele« (Gen 2,7). Der Mensch ist also eine Einheit von Leib und Seele. Gott schenkt ihm das Leben, nicht eine unsterbliche Seele. Der Begriff »Seele«, hebr. »nephesch«, wird ähnlich bildhaft wie das griech. »psyche« im Neuen Testament für Leben gebraucht, meint aber auch oft den ganzen Menschen, seine Person, sein Ich.

Das Alte Testament kennt in den meisten seiner 45 Bücher kein Leben nach dem Tod, erst das späte Buch Daniel (Kap. 12) spricht erstmals von einer Auferstehung am Ende der Zeit. Die Toten, die in der Unterwelt (scheol) mit Leib und Seele ruhen, werden von Gott zum Leben erweckt.

Erst das Neue Testament entfaltet die frohe Botschaft von einem neuen Leben nach dem irdischen Tod. Grundlage ist der Tod und die Auferstehung Jesu, sind die Begegnungen mit dem auferstandenen Christus in seinem sichtbaren und doch verklärten Leib. Nach ersten Zweifeln (Mk 16,11; Lk 24,11; Joh 20,24 ff) sind die Jünger von seiner Auferstehung überzeugt und machen sie zur zentralen Botschaft ihres Glaubens: Christus ist »der Erstgeborene unter den Toten« (Kol 1,18), er ist »die Auferstehung und das Leben« (Joh 11,25), »der Herr der Herrlichkeit« (1 Kor 2,8), »der Urheber des Lebens« (Apg 3,15). Auch wir alle werden auferstehen am jüngsten Tag, denn wer an ihn glaubt, »wird leben, auch wenn er stirbt« (Joh 11,25). Paulus entfaltet in 1 Kor 15 diese Überzeugung und diese Hoffnung für uns alle und macht sie zum Maßstab, an dem unser Glaube gemessen wird: »Ist Christus nicht auferstanden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos« (1 Kor 15,14).

Der entscheidende Unterschied zum Verständnis der griechischen Philosophie ist offensichtlich: Nicht die unsterbliche Seele des Menschen ist der Garant des Weiterlebens nach dem Tod, sondern Gott, der ein neues Leben schenkt. Wer an eine unsterbliche Seele glaubt, braucht keinen Gott mehr um weiterzuleben. Wir Christen können nur auf Gott vertrauen, dass er uns nach unserem irdischen Tod, der den ganzen Menschen und nicht nur unseren Körper betrifft, ein neues Leben in seiner Vollendung schenkt.

2.2 Die Entwicklung der kirchlichen Lehre in Frühzeit und Mittelalter

Natürlich ist die Bibel nicht nur die Grundlage des christlichen Glaubens sondern auch der kirchlichen Lehre. Dennoch muss jede Zeitepoche auch ihren Glauben mit der jeweiligen Kultur und Lebensweise verbinden und Antworten auf die existentiellen Fragen der Menschen finden. Immer wieder kam es in der 2000jährigen Kirchengeschichte zu unterschiedlichen Meinungen und Streitigkeiten in Glaubensfragen, die dann auf Konzilien oder durch kirchliche Lehrsätze entschieden worden sind. Immer wieder gibt es dabei neue theologische  Ansätze, den Glauben und die Aussagen der Bibel zeitgemäß und richtiger zu verstehen.

Die ersten Kirchenväter bis hinauf zu den großen Theologen des Mittelalters waren von der griechischen Philosophie geprägt. Der bedeutende Kirchenlehrer Augustinus (+ 430 n.Ch.) war ein überzeugter Vertreter des Neuplatonismus, in dem die dualistische Seelenlehre Platons ihre Neuauflage gefunden hatte. Das Wichtigste am Menschen ist die »Seele, die einen sterblichen Leib in Gebrauch hat«. Auch der Leib ist von Gott geschaffen, er wird nicht mehr so pessimistisch als Kerker der Seele definiert, doch an der Unsterblichkeit der Seele halten die meisten alten Kirchenväter fest.

Auch der größte Theologe des Mittelalters Thomas von Aquin (+ 1274 n.Ch.) orientiert sich an der griechischen Philosophie. Sein Vordenker ist Aristoteles. Er glaubt an die substantielle Einheit von Leib und Seele. Die Seele ist »die Form des Leibes«, sie ist »vernunfthaft«, d.h eine »Geistseele«, sie ist immateriell und unsterblich.

Auf diese großen Theologen hat sich die Kirche immer wieder berufen  und so auch die Unsterblichkeit der Seele auf dem 5. Laterankonzil (1512 - 1517) zur verbindlichen Glaubenslehre erhoben. Natürlich kommt ihr diese Unsterblichkeit nicht aus eigener Kraft zu, sondern wird ihr durch Gottes Gnade verliehen.

Neben dieser Grundüberzeugung sind im Laufe der Zeit immer neue Fragen zum Thema Seele aufgetaucht: Ist die Seele präexistent oder wird sie bei der Zeugung jedes Menschen neu geschaffen, wie der Kreatianismus überzeugt ist? Was geschieht mit der Seele nach dem Tod? Muss sie bis zum Ende der zeitlichen Welt auf die Auferstehung warten? Was geschieht mit der Seele der bösen Menschen, wird die Unsterblichkeit nur den Guten geschenkt? Wird auch der Leib wieder mit der Seele vereint? Solche und ähnliche Fragen versucht die Theologie mit der Lehre von den letzten Dingen, der sog. »Eschatologie« zu beantworten, die sich vor allem mit den Themen Tod, Gericht, Fegfeuer, Himmel und Hölle beschäftigt. Natürlich kann im Rahmen dieses Beitrags nicht näher auf alle diese Fragen eingegangen werden.

2.3 Ewiges Leben nach heutigem Verständnis

Unser heutiges Welt- und Menschenbild, das weitgehend von der Naturwissenschaft geprägt ist, setzt natürlich viele Fragezeichen hinter die traditionelle Vorstellung von einem Weiterleben nach dem Tod und fordert auch die Theologie zu einem Umdenken heraus. Für die Naturwissenschaft ist der Mensch zunächst einmal ein biologisches Wesen mit einem materiellen Leib und vielleicht auch geistigen Fähigkeiten. Seine Existenz ist an die Funktionsfähigkeit seines Körpers bzw. seines Gehirn gebunden. Mit dem Tod endet seine Existenz, für eine unsterbliche Seele, die nach dem Tod weiterlebt, ist hier kein Platz. Für die geistige Seite des Menschen ist heute weitgehend die moderne Hirnforschung zuständig. Sie untersucht die Abläufe im Gehirn und erklärt, was passiert, wenn ein Mensch denkt, fühlt, wahrnimmt, sich erinnert, Freude oder Angst empfindet usw. All das ist als Hirnprozess messbar, also letztlich ein rein biologischer bzw. materieller Vorgang. Für die meisten Hirnforscher heute ist selbst das, was wir »Geist« nennen, keine eigene Wirklichkeit mehr, sondern ein Produkt unseres Gehirns. Für Begriffe wie Geist, Seele, Bewusstsein, Willensfreiheit und persönliche Verantwortung bleibt hier oft kein eigener Wirklichkeitsbereich übrig.

Natürlich gibt es von Seiten der Philosophie, Psychologie und vor allem der Theologie heftige Kritik an diesem Versuch, alles Sein auf eine rein materielle Ebene zu reduzieren, wie es der Atheismus der Neuzeit ja schon lange tut. Der Mensch ist kein eindimensionales Wesen, kein seelenloser Bio-Automat, sondern ein Leib-Geist-Wesen. Er hat Verstand, Gefühle, einen freien Willen, er setzt sich Ziele und fühlt sich in seinem Gewissen verantwortlich für sein Tun. Er fragt nach dem Sinn und letzten Ziel seines Lebens, auch über den Tod hinaus. All dies übersteigt die Dimension einer rein materiellen Existenz. Dennoch ist es richtig: Dass der Mensch all diese geistigen Fähigkeiten ausüben kann, ist an seine leibliche Existenz gebunden. Der Mensch ist eine Leib-Geist-Seele-Einheit. Weder der Geist noch die Seele kann losgelöst vom Leib für sich existieren.

Gerade angesichts des heutigen wissenschaftlich geprägten Menschenbildes stellt sich die Frage: Wie muss man den Begriff »Seele« heute verstehen? Schon Thomas von Aquin hat die Seele als »Form des Leibes« definiert. Seele ist die geistige Seite des Menschen, seine Personalität und Individualität, sein Ich. Dieses Ich wächst, verändert und entwickelt sich, wie es auch sein Körper tut. Seele und Leib bilden eine unverwechselbare Einheit, beide Seiten, sein Leib und seine Geist-Seele machen die Einzigartigkeit, den Wert und die Würde eines Menschen aus. Beide gehören zusammen und prägen das Ich eines Menschen. Nach dem Tod lebt die Seele nicht einfach weiter, sondern der ganze Mensch stirbt, aber - und jetzt kommt der Glaube ins Spiel - Gott schenkt dem Menschen ein neues Leben.

Die heutige Theologie beruft sich nicht mehr auf die griechische Philosophie, sondern auf die biblischen Aussagen über die Auferstehung und versucht ohne Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen den Glauben an ein Leben nach dem Tod zu erklären. Dabei ist sie sich bewusst, dass ein Weiterleben nach dem Tod nur einem gläubigen Menschen zugänglich ist. »Das neue Leben bleibt für uns erhoffbar, doch völlig unanschaulich und unvorstellbar«, sagt Hans Küng. Es ist eine völlig neue Welt, eine »radikale Verwandlung«, die wir uns nicht vorstellen und ausmalen können, wie schon die Bibel sagt: »Was keines Menschen Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, hat Gott denen bereitet, die ihn lieben« (1 Kor 2,9). Zwar beschreibt auch die Bibel bisweilen das Leben mit Gott im Himmel in Bildern, z.B. als Wohnungen Gottes (Joh 14,2) oder als Hochzeitsmahl (Mt 22), doch dies sind nur Metaphern für das Reich Gottes, das letztlich - wie Gott selber - unvorstellbar und unbegreiflich bleibt. Nach dem Tod beginnt ein völlig neues, unvergleichbar anderes Leben: »Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib«, sagt Paulus (1 Kor 15,44). Gott vollendet unser Dasein mit einem Leben, nicht in Raum und Zeit, sondern »in einem völlig anderen, unerhört neuen, endgültigen Zustand«, in den unser Ich mit seiner ganzen Geschichte in Gottes Vollendung eingeht, so Hans Küng. Unser irdisches Leben endet mit dem Tod, aber nichts geht verloren von dem, was wir schon an Sinn und Wert erreicht haben. Gott schenkt uns die Fülle des Lebens in der Begegnung und ewigen Gemeinschaft mit ihm. »Mein Leben, meine Arbeit, mein Einsatz in der Welt - nichts ist vergebens, nichts wird vergessen, alles wird aufgehoben und bewahrt im Reiche Gottes«, so beschreibt der Theologe Gisbert Greshake dieses ewige Leben bei Gott.

Für die meisten Zeitgenossen ist dies unvorstellbar. Sie glauben lieber an die unsterbliche Seele, die aus eigener Kraft weiterlebt oder an die Wiedergeburt in einem späteren Leben. Für uns Christen ist diese Hoffnung  über den Tod hinaus ein großartiges Geschenk, das wir nur im Glauben erfassen können und das unserem Leben einen tiefen Sinn gibt über alles Scheitern und alle Sinnlosigkeit hinaus. Wir sind Gott wertvoll, er lässt uns nicht zugrunde gehen. Die Vollendung unseres Lebens nach dem Tod als Gottes Geschenk an uns, das geht weit über ein Weiterleben der unsterblichen Seele hinaus, wie sie sich Platon vorgestellt hat. Deshalb beten wir im Credo: »ich glaube an die Auferstehung der Toten« und nicht »ich glaube an die Unsterblichkeit der Seele«.

 

Literaturangaben:

Wolfgang Beinert, Tod und jenseits des Todes. Topos Taschenbuch 2000
Gisbert Greshake, Tod - und dann? Herder-Taschenbuch 1988
Hans Küng, Ewiges Leben? München 1982

Bild:  Entschlafung der Gottesmutter Maria (15. August)
Ikone der orthodoxen Kirche: Maria stirbt, von Aposteln und Engeln umringt.
Jesus übernimmt ihre »Seele« und geleitet sie ins Himmelreich.